"Zeigen, dass Nachhaltigkeit die eigene Lebenswelt betrifft"

Thorsten H., Berufsschullehrer in Berlin

Interview

Herr H., Sie sind Berufsschullehrer für Wirtschafts- und Sozialkunde und Sport in Berlin. Seit wann ist Nachhaltigkeit für Sie persönlich ein Thema?

Seit WG-Zeiten – ich habe über zehn Jahre in unterschiedlichen Wohngemeinschaften gelebt, von der Zweier- bis zur Vierer-WG. Da wurde diskutiert über Tupperdosen, Mülltrennung, über Reisen und Flüge, die man vorhatte. Und in meinem Studienfach Sozialwissenschaft ging es viel um Globalisierung und individuelle Nachhaltigkeit.

Warum ist es für Sie ein Thema an der Berufsschule?

Zum einen steht es im Lehrplan – in WiSo etwa müssen wir es unterrichten. Aber auch im Schüleralltag ist Nachhaltigkeit ein Thema. Ich habe an meiner letzten Schule viel mit der Schülervertretung zusammengearbeitet. Die Schüler:innen brachten oft Fragen auf, etwa, ob der Gebrauch von Plastiktellern in der Cafeteria so sinnvoll ist, und dann haben wir gemeinsam überlegt, was wir ändern können. Jetzt an der Berufsschule, wo Digitalisierung ein großes Thema ist, geht es häufig um die Papierfrage – einige Schüler:innen fragen, warum wir noch mit so viel Papier arbeiten, anderen ist es jetzt schon zu wenig.

Wer sind Ihre Schüler:innen?

Junge Frauen und Männer zwischen 17 und 35 Jahren in unterschiedlichen Ausbildungsgängen. Ich unterrichte Fachhochschüler:innen, die ihre Fachhochschulreife machen wollen, angehende Auszubildende für IT-Berufe und Medienkaufleute.

Wie wichtig ist den Schüler:innen Nachhaltigkeit – und wie viel wissen sie bereits?

Das ist abhängig vom Ausbildungsgang. Bei den Fachhochschüler:innen spielt Nachhaltigkeit keine große Rolle. Die sind mit Themen wie Gruppenverhalten beschäftigt, es gibt auch Fragen an mich, ob das Tempolimit auf Autobahnen bestehen bleibt, wenn wir eine Ampelkoalition haben, es geht um Schönheitsoperationen und viel um äußere Darstellung. Es sind nur einige wenige Schüler:innen, die Nachhaltigkeit ansprechen. Bei meinen IT-Schüler:innen ist das Wissen so mittelmäßig vorhanden, ganz groß ist es bei meinen angehenden Medienkaufleuten. Da ist das Thema sehr präsent und auch konkret. Das beginnt mit: Worin transportiere ich mein Frühstück, das ich in die Berufsschule mitnehme? Und endet bei der Frage, ob die Heizung im Unterricht immer an sein muss und ob man die nicht besser regulieren kann.

 

„Ich möchte Schüler:innen zeigen, dass Nachhaltigkeit ihre eigene Lebenswelt betrifft und nicht abstrakt ist.“

 

Welche Bedeutung haben die Berufsschulen bei der Vermittlung von Nachhaltigkeit?

Ich würde sagen: Eine große Bedeutung. Im Unterricht sprechen wir viel über Globalisierung und was man in diesem Rahmen als Individuum machen kann – auch, um den Schüler:innen ihre Rolle als Verbraucher:innen zu spiegeln. Sie sind oft sehr dankbar, wenn sie merken, dass ihr Verhalten etwas bewirken und zu einer nachhaltigen Veränderung führen kann. Auch im Zusammenspiel mit den Betrieben, die unsere Schüler:innen ausbilden, behandeln wir Nachhaltigkeit.

Allerdings merke ich bei meinen IT-lern: Nachhaltigkeit taucht zwar im Lehrplan auf, aber dadurch, dass wir auch auf die Abschlüsse der Industrie- und Handelskammer (IHK) vorbereiten und Nachhaltigkeit bei deren Prüfungsfragen nicht auftaucht, steht das Thema hintenan. Weil die Schüler:innen bewusst und berechtigt einfordern, dass wir sie gut auf die Prüfung vorbereiten.

Ist Nachhaltigkeit Pflicht im Lehrplan der Berufsschulen? Oder steht und fällt das Thema mit dem individuellen Wissensstand und Engagement der einzelnen Lehrenden?

Ich würde sagen: Beides ja. Nachhaltigkeit ist Pflicht, aber ihre Vermittlung hängt auch mit dem individuellen Wissen der Lehrer:innen zusammen. Es geht ja auch darum, wie man die Schüler:innen mitreißt, ihnen zeigt, dass Nachhaltigkeit ihre eigene Lebenswelt betrifft und nicht abstrakt ist. Klimaziele sind schön und gut, aber Langzeitfolgen – auch wieder abhängig vom Ausbildungsgang – sehen die Schüler:innen meistens nicht.

Wie könnte man Nachhaltigkeit noch stärker in den Berufsschulen verankern?

Unsere Schule hat seit einigen Jahren eine Leitidee: „Zusammen heute für morgen.“ Es geht darum, dass die Schüler:innen im Mittelpunkt stehen und handeln, Vielfalt und Toleranz leben. Etwa mit einer Kuchenaktion, um Spenden für die vor dem Krieg geflüchteten Ukrainer:innen zu sammeln. Wir fragen sie auch: Wo habt ihr selber noch Ideen? Es darf nicht von außen übergestülpt sein. Den Rahmen müssen wir bilden, aber dann muss da ganz viel Schüler:innen-Know-how rein. Das gilt auch beim Thema Nachhaltigkeit.

Interview: Katja Tamchina

Foto: Ulrich Wessollek

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